An dem in Flaschen abgefüllten Humanismus, an neonfarbenen Verstrahlungen, zerfetzten Hautlappen und schlaffen Penissen zerschellt die humanistische Selbstgewissheit. Was wie Gift wirkt, ist die Aufforderung, Metamorphose als Zustand zu begreifen. Über drei Jahrzehnte – Mitte der 1950er bis Ende der 1980er Jahre – schafft Tetsumi Kudo ein Werk, das in seiner Konsequenz für heutige Denkansätze des Posthumanismus und des neuen Materialismus wegweisend ist. In einer Retrospektive zeigt das Fridericianum das Werk des japanischen Künstlers erstmals umfassend in Deutschland.
In den Mikrokosmen, die Tetsumi Kudo kultiviert, fließen Formen ineinander, schmelzen oder verschmelzen, werden Sinnesorgane zu eigenständigen Wesen und die Hierarchien zwischen Kategorien entkräftet. In Käfigen, Würfeln, Boxen und Aquarien wuchern Augen, Nasen, Leuchtdioden, verwachsen Pflanzen, elektrische Schaltkreise, Gehirne. Aus der distanzierten Perspektive eines unsentimentalen Betrachters reflektiert Kudo die ideologische Grenzziehung zwischen Mensch, Natur und Technologie. Offensiv kritisiert er die vermeintliche Sonderstellung des Menschen: „In diesem neuen Ökosystem kann der Mensch den Anspruch, die Krone der Schöpfung zu sein, nicht länger aufrechterhalten. Aber es ist schwer, Privilegien (wie die Menschenwürde) abzulegen und den sich selbst als ‚humanistisch‘ bezeichnenden Kolonialismus im Kopf der Menschen zu überwinden.“ Tetsumi Kudo erlebt das nostalgische Festhalten an einem humanistischen Menschenbild in der westlichen Gesellschaft, die er als zutiefst fadenscheinig empfindet – in Japan schufen die Angriffe auf Nagasaki und Hiroshima eine Zäsur: In ihren verheerenden Auswirkungen wird die Verwundbarkeit des menschlichen Organismus offenbar. Die nukleare Katastrophe ist gleichsam absolute Machtdemonstration wie Kontrollverlust und zeigt die dem Humanismus innewohnende Paradoxie. In der Konsequenz ist eine Transformation des Menschen notwendig: Kudo zeigt, wie sich Körperteile, Pflanzen und elektrische Apparaturen zu posthumanen Gefügen verbinden. Für Kudo sind dies keine apokalyptischen Szenarien oder alptraumhafte Zukunftsvisionen. Die Abkehr vom Humanismus birgt eine Freiheit. Es entsteht Raum für eine posthumane Transformation des Körpers, die mit einem Neudenken von tradierten Kategorien einhergeht.
Geboren 1935 in Osaka, studierte Tetsumi Kudo zwischen 1954–1958 an der Hochschule der Künste in Tokio. 1962 verließ Kudo Japan und ging nach Paris. Nach vermehrten Aufenthalten kehrte er Ende der 1980er Jahre nach Japan zurück. 1990 starb Tetsumi Kudo in Tokio.
Kuratiert von Susanne Pfeffer