Willkür ist ein Instrument der Macht. Molly und Holly, die „Watcher“ im neuen Film
Two A.M. (2016) von Loretta Fahrenholz, wissen das. Was, wann und wen sie überwachen entzieht sich jeder Logik. Die Unkalkulierbarkeit der Gedankenleser ist Kalkül. Ausdruck findet sie auch in ihren heftigen emotionalen Schwankungen. Frei nach dem Exilroman Nach Mitternacht (1937) von Irmgard Keun hat Loretta Fahrenholz ein Drehbuch geschrieben und einen soziofiktionalen Film gedreht, dessen Analogien mit der Gegenwärtigkeit von Überwachung, Kapitalismus und neu aufkommendem Faschismus erschreckend sind. Keun beschreibt in ihrem Roman zwei Tage im Leben der jungen Sanna im nationalsozialistischen Deutschland. Die kurze Dauer der beschriebenen Zeit ermöglicht im Roman eine Dichte, die die beschriebene Zeit als Zustand erfahrbar werden lässt. Die rational nachvollziehbare wie auch die hysterisierte Angst wird klar spürbar. Im Film ist die permanente soziale Kontrolle diffuser und wird mit Amphetaminen kompensiert. Eine Praxis, die auch in Nazideutschland weit verbreitet war. Wiederaufrüstung, Reichsarbeitsdienst und Blitzkrieg sind ohne Speed nicht zu denken. Angst, Indolenz und Paranoia ohne MDMA nicht in Modernisierung zu kanalisieren. Während bei Keun die Flucht von Sanna und ihrem Freund Franz zu gelingen scheint, folgen Molly und Holly dem Paar in die Nacht. Sie können in der globalisierten Welt der Totalüberwachung nicht entkommen.
Für ihre erste große institutionelle Einzelausstellung in Deutschland hat Loretta Fahrenholz den Film
Two A.M. produziert. Neben dieser neuen Arbeit sind die Filme Ditch Plains (2013), My Throat, My Air (2014) und Que Bárbara (2011) zu sehen. In ihren postcinematischen Filmen dokumentiert Fahrenholz unsere von kollektiven Fiktionen, Inszenierung und medialer Vermittlung geprägte Gegenwart.
Die Neuproduktion Two A.M. sowie der begleitende Katalog entstanden in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Zürich.
Kuratiert von Susanne Pfeffer