„Die Fiktion macht es möglich, Wirklichkeit einzufangen, aber gleichzeitig auch das, was die Wirklichkeit verbirgt.“ – Marcel Broodthaers
Ende 1963 beschließt der Schriftsteller Marcel Broodthaers (1924–1976), bildender
Künstler zu werden. Nie jedoch verliert er seine Verbundenheit zur Poesie und
Sprache, deren Bedeutungssysteme integraler Bestandteil seines Werks sind. Aus
einer Distanz zum Kunstgeschehen heraus stellt Broodthaers grundsätzliche
Fragen an die Kunst – ihre Medien, ihre Werkbegriffe und ihre museale
Repräsentation. Nicht zuletzt deshalb widersteht Broodthaers’ Werk eindeutigen
kunsthistorischen Zuordnungen; noch heute wirkt es als nachhaltige Kritik an
den Kommerzialisierungsstrategien der Kunst.
Kritisch setzt
sich Broodthaers mit musealen Praktiken des Sammelns, Archivierens und
Präsentierens auseinander, hinterfragt die damit einhergehende Definitionsmacht
der Institution und stellt das Museum als Ort der Repräsentation und
Ideologievermittlung aus.
Broodthaers’ Werk gründet
in einer tiefgreifenden Beschäftigung mit den Ordnungssystemen des Alltags, den
Mechanismen der Sinnproduktion und ihrer Verankerung in einem kollektiven,
kulturellen Gedächtnis. Der Künstler löst Bilder, Objekte, Worte und Handlungen
aus ihren etablierten Kontexten. Sichtbar wird der Kontrast zwischen der
Realität der Bilder und der bildlich dargestellten Realität, die
Wirkmächtigkeit von Objekten jenseits ihrer sprachlichen Erfassung und das
Verwirrspiel der Sprache, in dem Worte zugleich bildliche Vorstellung wie
buchstäbliches Material sind. In einer Zeit, in der Bilder als Erklärungen für
Wissenschaft und Politik herangezogen werden, ist das Werk Marcel Broodthaers’,
in dem die verschwiegene Kluft zwischen Bild, Wort und Bedeutung deutlich sichtbar
wird, von eminenter Brisanz und Relevanz.
Anlässlich
des 60. Jubiläums der documenta zeigt das Fridericianum in einer Retrospektive Werke aus allen Schaffensphasen des Künstlers. Die
Ausstellung umfasst frühe Objekte, Skulpturen, Filme, Dia-Projektionen,
Druckgrafiken und Zeichnungen sowie
Le Corbeau et le Renard (1967–72),
die
Section Publicité des Musée d’Art Moderne, Département des
Aigles
(1972), Éloge du sujet (1974), Dites
partout que je l'ai dit
(1974), Jardin d’Hiver II (1974), L’Entrée
de l’Exposition
(1974), Salle Blanche (1975) und DÉCOR,
A Conquest by Marcel Broodthaers
(1975).
Kuratiert von Susanne Pfeffer
Mit freundlicher Unterstützung von